Katja Thiele hat am 09. November 2021 erfolgreich ihre Dissertation mit dem Titel „Öffentliche Bibliotheken im Spannungsfeld von Digitalisierung und Austerität: Kommunale Strategien und ihre Implikationen für die Bildungsgerechtigkeit auf der lokalen Ebene“ verteidigt. Die Disputation fand hybrid statt, d.h. sowohl vor Ort im Geographischen Institut als auch via Zoom. So konnten auch Familie und Freund*innen teilnehmen, die aufgrund der Corona-Pandemie nicht in Bonn sein konnten.
Mit der Entwicklung öffentlicher Bibliotheken hat sich Katja Thiele einem bislangkaum beleuchteten Feld in der deutschsprachigen Humangeographie zugewandt und die Zusammenhänge zwischen den Prozessen der Digitalisierung und der Austerität und zwischen öffentlichen Bibliotheken als soziale Infrastrukturen, öffentlicher Daseinsvorsorge und Bildungsgerechtigkeit herausgearbeitet. In den drei europäischen Untersuchungsstädten Bonn (DE), Leichester (GB) und Malmö (SE) hat sie die Entwicklungen vergleichend untersucht und in Zusammenhang gebracht mit a) den jeweiligen politischen Traditionen der urbanen Regimes auf lokaler Ebene (Perspektive urbaner Regimes) und b) den wohlfahrtsstaatlichen Modellen in Deutschland, Großbritannien und Schweden auf nationaler Ebene (Mehrebenen-Perspektive).
Das Thema ist hoch aktuell und mit Bezug auf Bildungsgerechtigkeit gesellschaftspolitisch sehr relevant. Als non-formale Bildungsorte ergänzen öffentliche Bibliotheken andere Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung und bieten eine Start-Infrastruktur für selbstermächtigte, informelle Lernprozesse. Das Spektrum an Kompetenzen, das Nutzer*innen dort erwerben können, ist groß und umfasst individuelle Lernkompetenzen, soziale Kompetenzen sowie methodische Kompetenzen. Öffentliche Bibliotheken sind für viele Menschen außerdem eine wichtige soziale Infrastruktur im Alltag. Sie sind kostenlos zugänglich und haben relativ niedrige Hemmschwellen. Dieser niedrigschwellige Zugang zu Ressourcen ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und das Vertrauen in öffentliche Angebote. Wegen ihrer sozialen Funktionen vor Ort sind sie besonders wichtig für Menschen, die die Ressourcen und Räume für die erfolgreiche Teilnahme an Bildungsprozessen zuhause nicht zur Verfügung haben. Öffentliche Bibliotheken befinden sich jedoch seit drei Jahrzehnten in einem tiefgreifenden Wandel. Die Ursachen hierfür sind erstens die technische Entwicklung sowie die dadurch veränderten Ansprüche der Nutzer*innen – kurz die Prozesse der Digitalisierung. Zweitens werden öffentliche Bibliotheken als kommunale Einrichtung besonders stark beeinflusst durch Prozesse der Austerität. Kommunen haben immer mehr Aufgaben zu leisten, aber immer weniger Budget zur Verfügung. Öffentliche Bibliotheken sind als freiwillige Leistungen der Kommune besonders von der Finanzknappheit betroffen.
Auf Basis eines qualitativen Methoden-Mixes (Dokumenten- und Datenanalyse, Interviews, teilnehmende Beobachtungen) wird gezeigt, dass öffentliche Bibliotheken Möglichkeitsräume für eine sozial-gerechte Stadtentwicklung sind und einen Beitrag zum Abbau von Bildungsungleichheiten | digital divides auf der lokalen Ebene leisten können. Urbane Regimes prägen die kommunale Bibliothekspolitik jedoch strategisch selektiv und im Spannungsfeld von Prozessen der Digitalisierung und der Austerität werden zudem Strategien befördert, die in den bereits benachteiligten Stadtquartieren zur Verschlechterung von Bildungsgerechtigkeit im Sinne einer breiten, dezentralen Versorgung beitragen.