84 Millionen Menschen haben in den letzten Jahren aufgrund von Konflikten und Naturkatastrophen ihr Zuhause verloren (UNHCR, 2022). Ein Großteil dieser Menschen befindet sich in Ländern des Globalen Südens. Extremereignisse wie Überflutungen, Waldbrände und Kriege oder die „schleichende“ Krise der Wohnungsmärkte sorgen jedoch auch im Globalen Norden für Wohnraumverluste. Die Bereitstellung von Notunterbringung – in Form sogenannter shelter kits – ist eine zentrale humanitäre Antwort auf diese Krisen. Boxen gefüllt mit shelter-Technologien, die neben einem provisorischen Obdach (Zelte, Hütten) auch Werkzeug, Medikamente und Hygieneartikel enthalten, stehen dazu in Logistikzentren zur sofortigen Verschiffung im Katastrophenfall bereit. Unter dem Schlagwort humanitarian design ist in den letzten Jahren eine größere Bewegung entstanden, die sich auf die Optimierung dieser Nothilfegüter konzentriert und verspricht, dadurch vielfältigsten Krisensituationen gerecht zu werden.
Das Projekt untersucht humanitäre Räume, die durch die Bereitstellung von Notunterkünften entstehen. Mithilfe von follow-the-thing-Ansätzen verfolgt das Projekt ausgewählte shelter kits von den Räumen, in denen sie entworfen und produziert werden, weiter in logistische Zentren und von dort zu unterschiedlichen Einsatzorten. In der Verbindung dieser Stationen wird es möglich, (1.) die biopolitischen Leitbilder aufzuzeigen, die der Gestaltung von shelter kits zugrunde liegen, (2.) zu erschließen, wie humanitäre Hilfe durch die Anforderungen globaler Logistikketten mitbestimmt wird, und (3.) zu untersuchen, wie sich das – oft Monate und Jahre andauernde – Alltagsleben in den Notbehausungen tatsächlich gestaltet. Indem das Projekt auf aktuelle Einsatzorte von shelter kits in Nordeuropa und dem Globalen Süden fokussiert, überwindet es konzeptionelle Nord-Süd-Dualismen in der bisherigen Analyse humanitärer Hilfe und trägt zur Weiterentwicklung relationaler Theorieperspektiven bei. Das Projekt ist vergleichend angelegt und wird auf umfangreichen ethnographischen Feldstudien aufbauen.