Im Rahmen des Projekts „Bonn4Future“ wurden mit einem Bürgerbeteiligungsverfahren Ideen für ein klimaneutrales Bonn 2023 entwickelt. Ein Überblick über die Vorschläge aus den Bereichen Wohnen, Mobilität, Ernährung und Landwirtschaft, Natur und natürliche CO2-Speicher, Wirtschaft sowie Informationen wurde vor wenigen Tagen prominent im General Anzeiger dargestellt. So muss der Energieverbrauch im Bereich Wohnen um 40% reduziert werden, damit der Bedarf aus erneuerbaren Energien gedeckt werden kann. Unter anderem soll dies durch Haussanierungen, Verbesserung der Wärmeversorgung und den Ausbau von Photovoltaikanlagen gelingen. Im Bereich Mobilität muss sich die Anzahl der Autos halbieren und Rad- und Fußwege müssen sicherer werden.
Prof. Claus-C. Wiegandt, Prof. Kathrin Hörschelmann (beide Geographisches Institut, Universität Bonn) und Michael Lobeck (promediare, Bonn) haben in einem beauftragten Forschungsprojekt den Prozess der Entwicklung dieser Vorschläge begleitet und evaluiert. Bonn4Future nutzte ein Bürgerbeteiligungsverfahren, um Lösungen für eine klimaneutrale Stadt Bonn zu finden. Dieses Verfahren ergänzt den vom Stadtrat beschlossenen Klimaplan.
Prof. Hörschelmann (KH), Prof. Wiegandt (CCW), Michael Lobeck (ML), was genau war Ihre Rolle in diesem Prozess?
KH: Als Geographisches Institut waren wir gemeinsam mit dem Büro promediare mit der Evaluierung des Projekts Bonn4Future beauftragt. Wir, das waren außer uns auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen Julian Antoni, Jochen Burger, Juliane Dame und Miriam Gruber sowie die Student*innen Hanna Schmid und Maximilian Scholtes. Weitere Studierende haben uns im Rahmen von Seminaren und Abschlussarbeiten bei den Beobachtungen unterstützt und konnten sich mit ihren eigenen Forschungsprojekten einbringen.
Auftraggeber der Evaluation war der Verein Bonn im Wandel e.V., der das Projekt Bonn4Future in einer engen Kooperation mit der Bundesstadt Bonn durchgeführt hat. Dies war schon eine besondere, bislang nicht erprobte Konstellation, deren Governance für uns spannend war.
CCW: Mit der Vergabe der Evaluation im Mai 2021 sind wir gestartet, mit Abgabe und Vorstellung des Endberichts in den städtischen Ausschüssen haben wir das Projekt im ersten Quartal 2023 abgeschlossen. Im Untersuchungszeitraum haben wir den Klimatag, die vier Klimaforen, die Kommunikationsworkshops, die Verwaltungsworkshops und die Sitzungen des Prozess-Beirats teilnehmend beobachtet. Wir haben zwei Bevölkerungsbefragungen von Bonner Bürgerinnen und Bürgern durchgeführt, die Teilnehmenden der Klimaforen befragt, die lokale Presse und sporadisch social media ausgewertet sowie Interviews mit Expertinnen und Experten durchgeführt.
ML: Die Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber und auch mit der Stadt Bonn haben wir als sehr angenehm empfunden. Es gab Gelegenheit, mit vielen Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen, aber auch mit Vertretern ganz unterschiedlicher Interessen ins Gespräch zu kommen. Sowohl die Stadt Bonn als auch Bonn im Wandel waren an Ergebnissen der Begleitforschung sehr interessiert.
Wie bewerten Sie die Ergebnisse von Bonn4Future?
KH: Zwei Dinge sind äußerst erfreulich: das Produkt eines Klima-Aktionsplans und der Prozess, in dem dieser Plan erarbeitet wurde. Der Klima-Aktionsplan ist für die zukünftige städtische Klimapolitik eine gehaltvolle Grundlage mit konkreten Vorschlägen zu zahlreichen Themenbereichen wie zum Beispiel Wohnen, Verkehr oder Bildung. Entstanden ist er durch ein großes ehrenamtliches Engagement in einer angenehmen Arbeitsatmosphäre, die wir als außerordentlich wertschätzend empfunden haben.
CCW: Auch wenn mehrere hundert Personen an der Erstellung des Klima-Aktionsplans mitgewirkt haben und der Personenkreis divers zusammengesetzt war, war er nicht vollkommen repräsentativ für die Bonner Bevölkerung. Ein Phänomen, das allerdings bei vielen Beteiligungsverfahren zu beobachten ist und bei freiwilliger Beteiligung nicht vollständig aufzulösen ist. Im Vergleich zu anderen Beteiligungsverfahren wurden jedoch erhebliche Anstrengungen unternommen, um gewöhnlich schlechter vertretene Gruppen zu erreichen – zum Teil mit Erfolg.
Was muss nun weiter mit diesen Vorschlägen passieren, damit die Klimaneutralität 2035 realistisch ist?
KH: Der Beteiligungsprozess wurde während der Laufzeit in der Stadtgesellschaft relativ wenig wahrgenommen. Die Resonanz in den klassischen Medien, aber auch in den sozialen Netzwerken war leider nicht sehr groß. Hier braucht es zukünftig mehr Öffentlichkeitsarbeit, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Maßnahmen mittragen sollen.
ML: Dies wird die Schwierigkeit, aber auch die Herausforderung für die nächsten Jahre sein. Ohne Veränderungen im Alltag und im Handeln der Bürgerinnen und Bürger – sei es in ihren Rollen als Verkehrsteilnehmende, als Konsumenten, als Grundstücks- und Immobilieneigentümer*innen, als Mieter*innen oder als Gewerbetreibende – werden die Ziele eines klimaneutralen Bonns in 2035 nicht zu erreichen sein.
Wieso brauchen wir die Mitwirkung vieler Bürger*innen in politischen Entscheidungsprozessen? Und warum spielen Geograph*innen in solchen partizipativen Ansätzen eine wichtige Rolle?
CCW: In der Tat braucht es aus unserer Sicht einen neuen Politikstil mit neuen Möglichkeiten der Beteiligung und Partizipation in der Stadtentwicklung. Dies besonders, weil die Kluft zwischen der Bürgerschaft und den politischen und administrativen Entscheidern in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Wir beobachten auf allen staatlichen Ebenen einen Vertrauensverlust in das Handeln der Entscheidungsträger*innen. Gleichzeitig erfordert die Klimakrise massive Veränderungen in der Stadtentwicklung, aber auch in anderen Politikfeldern etwa im Verkehrs- oder Energiesektor. Partizipative Ansätze können helfen, den Vertrauensverlust zu stoppen und die erforderlichen Veränderungen zur Bewältigung der Klimakrise gemeinsam zu stemmen.
ML: In den vergangenen Jahren haben sich neue Formen der Öffentlichkeitsbeteiligung etabliert – analoge wie digitale. Sie bieten Geographinnen und Geographen vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten - von der persönlichen Moderation in Präsenz oder online angefangen über die begleitende Visualisierung von Veranstaltungen bis hin zur Konzeption und Organisation von Partizipationsprozessen sowie der Entwicklung und Programmierung von Online-Beteiligungsplattformen. Durch ihre fachlich eher breite als enge Ausbildung bringen Geographinnen und Geographen Fähigkeiten mit, sich gut und schnell in unterschiedliche Argumentationswege und Denkmuster hineinversetzen zu können.
KH: Auch wenn Geographinnen und Geographen sich hier natürlich in einem interdisziplinären Feld bewegen, haben sie wertvolle Methoden aus der raumwissenschaftlichen Forschung eingebracht in die Entwicklung neuer Ansätze für Bürgerbeteiligung, so zum Beispiel das partizipative Kartieren, Mental Mapping, Walking Interviews oder Storymapping. Inhaltlich tragen Geographinnen und Geographen außerdem zur Sensibilisierung für sozial und kulturell unterschiedliche Raumwahrnehmungen und Raumerfahrungen bei und haben Verflechtungen zwischen sozialen Ungleichheiten und raumbezogenen Prozessen stark im Blick. Beides ist wichtig, um Bürgerbeteiligung inklusiver zu gestalten und unterschiedliche Bedürfnisse besser zu berücksichtigen.
Prof. Hörschelmann, Prof. Wiegandt, Michael Lobeck, herzlichen Dank für das Interview!