Auftakt war ein von Dr. Elisabeth Kirndörfer und Tobit Nauheim moderiertes Tischgespräch mit den Frankfurter Professor*innen Bernd Belina und Antje Schlottmann am 17. April im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mittwochs im GIUB“. Hier wies bereits der nicht besetzte „leere Stuhl“ (s. Foto) auf ein wesentliches strukturelles Problem der Disziplin hin: der Unter-Repräsentation nicht-weißer Wissenschaftler*innen in der Hochschule. Diese für den Prozess wesentlichen Perspektiven wurden mittels eingeblendeter Zitate in die Diskussion eingebracht. Drei Fragenzu kolonialen Strukturen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft standen an diesem Abend im Mittelpunkt.
Inwiefern besteht eine Verwobenheit der Disziplin Geographie mit der kolonialen Vergangenheit und was bedeutet dies für die wissenschaftlichen Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Zeitumständen? Das, was in dieser Vergangenheit geschehen ist, hat etwas mit dem Heute zu tun. Allein der gezielte Ausbau der Geographie in den Universität Ende des 19. Jahrhunderts hat selbstverständlich Spuren im inhaltlichen und wissenschaftlichen Tun der Disziplin hinterlassen. Auch Carl Trolls erste Professur war der Übersee- und Kolonialgeographie gewidmet. Die Vorstellung einer vermeintlich objektiven und (politisch) neutralen Wissenschaft ist aus heutiger Sicht weder tragbar noch nachvollziehbar das belegen allein die Terminologie in den Publikationen der Zeit und das damalige gesellschaftliche Grundverständnis.Welche Spuren der kolonialen Vergangenheit finden wir heute in der Institution Universität und speziell in den Geographischen Instituten? Zwei Gedanken fokussierten den Aspekt der Kontinuitäten des (kolonialen) Denkens im Tischgespräch. Der erste war das bis in die Gegenwart reichende Phänomen einer überausgebeuteten und über-polizierten, dabei verunsichtbarten Arbeiter*innenschaft im Zusammenhang mit Rassismus. Rassismus, als „Grundpfeiler der Moderne“, wurde im Kolonialismus „hoffähig“. Der zweite Gedanke streifte die Forschungspraxis im globalen Süden. Die selbstverständliche Mitnahmen von Forschungsdaten aus den Forschungsgebieten und die kaum vorhandene Möglichkeit der Partizipation am Forschungsprozess und den Forschungsergebnissen, oder gar der Co-Produktion, zeugen noch heute von kolonialen Kontinuitäten.
Das Zitat: „Wenn der Prozess des aktiven Entinnerns und das mahnende Erinnern der Opfer des Kolonialismus aufeinandertreffen, entstehen Risse, Widersprüche und Konflikte“ von Noa Ha leitete zur dritten Frage über: Welcher Umgang mit dem kolonialen Erbe ist an unseren Instituten zu beobachten, der eine spürbare Transformation in der Geographie initiiert? Hier fällt auf: Der Produktionsdruck für Wissenschaftler*innen im Zusammenhang mit einem zeitlichen Effizienzdenken blockiert den Transformationsprozess. Auch die Gefahr des reinen Ausradierens von Störfaktoren (Straßenschilder, Büsten) oder die Veränderung der Terminologie wurde - durchaus kontrovers - diskutiert. Der erste Schritt ist ein distanzierendes Hinterfragen - „Wo forschen wir wie, und wozu?“ - möglichst mit der Konsequenz einer „produktiven Erschütterung“.
Am GIUB findet dieses Hinterfragen aktuell statt. Am 10. Juli geht es konkret um die gelebte Erinnerungskultur und -praxis am GIUB und ihre Performanzen. Auch hier werden Expert*innen unterstützend tätig sein. Zudem sind Lehrveranstaltungen zu „Dekolonialen Geographien in der Praxis“sowie „Reflexiven Methodologien für die Dekolonialisierung der Universität“ in Vorbereitung.
Veranstaltungshinweis „Mittwochs im GIUB“: „Koloniale Spuren in der Geographie und im Geographischen Institut – Fortsetzung der kritischen Auseinandersetzung in Workshops und Diskussionen“. 10. Juli, 17.15 Uhr im Alfred-Philippson Hörsaal.