Die Wissenschaft ist sich einig: Menschliche Aktivitäten, vor allem durch die Emission von Treibhausgasen, haben zweifellos die globale Erwärmung verursacht, wobei die globale Oberflächentemperatur im Zeitraum 2011-2020 um 1,1°C über dem Wert von 1850-1900 angestiegen ist. Die globalen Treibhausgasemissionen haben weiter zugenommen, wobei ungleiche Beiträge aus nicht nachhaltiger Energienutzung, Landnutzung, Flächennutzungsänderungen, Lebensstilen sowie Verbrauchs- und Produktionsmustern in den verschiedenen Regionen, zwischen und innerhalb von Ländern und zwischen Einzelpersonen dazu beitragen (IPCC, 2023: Summary for Policymakers).
Prof. Dr. Niko Froitzheim, Strukturgeologe an der Universität Bonn, ist Klimaschützer, Protestierender und Aktivist und wurde angeklagt, am 06.04.2022 im Regierungsviertel in Berlin eine Brücke blockiert zu haben. Grund für die Blockade war die Veröffentlichung des neuen IPCC-Berichtes, der die Notwendigkeit zu drastischen Klimaschutzmaßnahmen erneut betonte. Dabei handelt es sich um eines der ersten Verfahren gegen einen Universitätsprofessor im Kontext des Klimaschutzaktivismus in Deutschland. Verurteilt wurde Prof. Froitzheim am 20.06.2023 zu 30 Tagessätzen a 120 € (u.a. der General Anzeiger berichtete).
Prof. Nadine Marquardt und Prof. Lisa Schipper, Geographieprofessorinnen an der Universität Bonn, haben gemeinsam vor dem Gerichtsverfahren einen Solidaritätsbrief mit Unterschriftensammlung aufgesetzt. Mehr als 500 Wissenschaftler*innen unterzeichneten den Brief und zeigten sich so solidarisch mit Niko Froitzheim. Im Anschluss haben wir Prof. Marquardt interviewt, um zu zeigen warum Klimaschutz und -protest so wichtig sind und warum so viele Wissenschaftler*innen hinter Niko Froitzheim und seinem Protest stehen.
Prof. Marquardt, warum ist der Protest für mehr Klimaschutz generell so wichtig?
NM: Politisch wird viel zu wenig gegen die Klimakatastrophe unternommen, Klimaziele werden gerissen, vorhandene Verpflichtungen aufgeweicht. Zugleich werden neue fossile Infrastrukturen geschaffen und damit auch neue Pfadabhängigkeiten. Die Proteste sorgen dafür, dass die Krise auf der Tagesordnung bleibt und nicht verdrängt wird.
Warum ist es problematisch, wenn Protestierende, nun auch protestierende Wissenschaftler*innen, angeklagt werden?
NM: Aktionen des zivilen Ungehorsams sind für Dritte mitunter lästig, genau das sollen sie ja auch sein. Das macht die Aktionen deshalb aber noch lange nicht zu gewalttätigen, kriminellen Akten, auch wenn das inzwischen häufig von Politik und Medien suggeriert wird. Der Protest wird durch diese Kriminalisierung immer riskanter. Wenn Klimaaktivist*innen öffentlich als Kriminelle oder gar Terrorist*innen gelten, dann können sich zum Beispiel wütende Autofahrer*innen bei Straßenblockaden geradezu dazu berechtigt fühlen, körperlich übergriffig zu werden. Solche Vorfälle mehren sich ja bereits – das ist ein Riesenproblem.
Warum haben Sie diesen Protestbrief zur Solidarität mit Niko Froitzheim geschrieben? Was sagt es aus, dass so viele Menschen ihn in sehr kurzer Zeit unterschrieben haben?
NM: Auch wenn Strafverfahren bei zivilem Ungehorsam einkalkuliert sind, kosten sie trotzdem viel Kraft und Nerven. Da kann ein wenig Rückenwind nicht schaden, selbst wenn er nur symbolischer Natur ist. Unterzeichnenden der Uni Bonn und Kolleg*innen aus den Geowissenschaften, die Niko Froitzheim persönlich kennen, war es ein Anliegen, ihre Unterstützung für Niko zum Ausdruck zu bringen. Daneben gibt es aber hunderte weitere Unterzeichnende. Viele Wissenschaftler*innen haben uns geschrieben, dass sie die Relativierung der Klimaforschung und die Kriminalisierung der Proteste bestürzend finden und deshalb unterschreiben wollen. Das zeigt deutlich, wie einig die wissenschaftliche Community in der Einschätzung der Klimakrise ist und wie groß der Rückhalt für die Klimaproteste. Es zeigt, dass wir als Wissenschaftler*innen wissen, dass Niko Froitzheim in der Sache einfach recht hat und dass wir uns über die Frage nach Protestformen nicht so schnell entzweien lassen.
Niko Froitzheim wurde inzwischen zu einer Geldstrafe in Höhe von 3600 € verurteilt. Warum ist das ein Problem? Was bedeutet das für andere Protestierende? Und was sollte unsere Rolle als Kolleg*innen sein und was können wir weiterhin tun?
NM: 3600 Euro sind viel Geld. Zugleich steht außer Frage, dass die intendierte abschreckende Wirkung solcher Strafen nicht eintreten wird. Wenn die Politik untätig bleibt, wird der zivile Ungehorsam zunehmen, Strafverfahren hin oder her. Ich denke es ist wichtig zu verstehen, dass friedliche Protestformen, bei denen Menschen die eigene körperliche Verwundbarkeit etwa in Form von Sitzblockaden einsetzen, immer ein hohes Risiko für sie selbst bedeuten – niemand macht so etwas zum Spaß. Deshalb brauchen Klimaaktivist*innen weiter sichtbare Unterstützung, gerade auch von wissenschaftlicher Seite.
Prof. Marquardt, Herzlichen Dank für das Interview!